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Die nackten Zahlen brauchen neue Kleider

Die Schweizer Behörden stellen Daten offen zur Verfügung. Doch ohne den ursprünglichen Kontext präsentieren sich die nackten Zahlen als ein Haufen Antworten ohne passende Fragen.

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Als späte Folge des Fichenskandals in den 90er-Jahren erliess der Bund 2006 ein Gesetz, das die Behörden dazu verpflichtet, auf Anfrage fast alle ihrer Informationen herauszugeben. Das Öffentlichkeitsgesetz wurde eingeführt, um den Staatsapparat für seine Bürgerinnen und Bürger transparenter zu machen. Zur gleichen Zeit entstand die internationale Open Data-Bewegung. Sie fordert, dass Daten, die mit Steuergeldern erhoben werden, für die Bürger unter dem Label Open Government Data (OGD) frei von technischen und rechtlichen Hürden publiziert werden. Eine der Hauptbegründungen war damals wie heute: mehr Transparenz und Demokratie.

Open Data als Nebenprodukt

Das Thema Open Data geriet auch auf den Radar des Bundesrats. 2014 genehmigte die Landesregierung eine «Open Government Data Strategie». Teil davon ist die zentrale Plattform opendata.swiss, wo seit 2015 offene Daten aus Bundesämtern, Kantonen, Gemeinden und bundesnahen Betrieben gesammelt werden. Die Stadt Zürich hat bereits 2012 damit begonnen, eine eigene OGD-Plattform aufzubauen. Diese ist nun auch mit der nationalen Plattform verknüpft und liefert täglich neue und aktualisierte Datensätze. «Das ist genau der Charme von Open Data», bestätigen Marco Sieber und Reto Wick, die OGD-Beauftragten der Stadt Zürich, «dass wir die Daten schon haben. Wir brauchen sie nur noch in geeigneter Form zu publizieren. Das kann man auch automatisieren». Auch der Bundesrat erwähnt diese Sekundärnutzung als eine der Stärken von Open Government Data. Diese sollen ganz ohne Mehraufwand entstehen, einfach als Nebenprodukt der Amtstätigkeit.

6261 Antworten ohne passende Fragen

Landen die Datensätze auf opendata.swiss werden sie Teil eines einzigen Datenhaufens. «6261 Datensätze» steht am 21. August 2018 auf der Startseite. Der Download der Daten wiegt rund 158 Gigabytes. Darunter befinden sich grosse Bildarchive wie zum Beispiel die Pfarrbücher der Stadt Zürich 1708-1762, mit 25 Gigabytes der schwerste Datensatz der Plattform. Aber auch statistische Datensätze, die es kaum auf ein Megabyte bringen, gehören zur Sammlung. Während ein Bildarchiv vielleicht ein paar hundert Bilder von alten Urkunden enthält, haben manche Tabellen über eine Milliarde Einträge.

Auf opendata.swiss findet man eine grosse Menge Antworten ohne die passenden Fragen. Keine Geschichten, keine Interpretationen oder Meinungen. Einfach nur nackte Zahlen. Es liegt nun an den Lesenden selbst, Fragen an die Daten zu formulieren. Einen solchen Dialog mit Daten zu führen bezeichnet man in der Szene als «Data Literacy». Oleg Lavrovsky vom Verein Opendata.ch hat dazu einen Schweizer Ableger der sogenannten «School of Data» gestartet. Dort bringt er Interessierten bei, mit Daten umzugehen, sie darzustellen und zu interpretieren. Regelmässig veranstaltet die Community auch sogenannte Hackathons zu verschiedenen Themen wie Finanzen, Energie oder Tourismus. Neue Weiterbildungen wie der CAS Data Science an der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW schiessen aus dem Boden.

Wie weiter mit offenen Daten?

In der Öffentlichkeit besteht grosses Interesse an den offenen Daten, nur ist nicht immer klar, an welchen: «Oftmals ist es kaum mehr nachvollziehbar, wer welche Datensätze nutzt», sagt Juan Pablo Lovato, Projektleiter Open Government Data Schweiz beim Bundesarchiv, «aber das liegt ja auch in der Natur offener Daten». Mehr und mehr stellt sich der Bewegung die Frage, ob sie diese puristische Position beibehalten oder ihre Kräfte auf die spannenden Datensätze konzentrieren will. Überlässt sie es der Öffentlichkeit allein, sich die spannenden Datensätze herauszusuchen, riskiert sie, dass diese in einem Haufen uninteressanter Daten untergehen und am Ende ungenutzt bleiben. Alternativ würde der Weg in eine Art «Marketing für Datensätze» gehen. Da stellen sich Fragen zu Zielgruppen, Qualitätskriterien und Kommunikation. Das macht vieles komplizierter, es würde aber vermutlich auch den Nutzen der Datensätze deutlich erhöhen. Statt als Nebenprodukt würde das Datenangebot als Dienstleistung betrachtet werden. Ein Beispiel dafür ist die Firma Uber, die ihre Daten über eine Plattform offenlegt und das Angebot in Zusammenarbeit mit den Nutzern stetig verbessert. Ob das funktioniert, hängt hauptsächlich von zwei Faktoren ab: Die Bereitschaft der Datenanbieter, sich auf die Bedürfnisse der Datennutzer einzulassen und damit einen weiteren Schritt in Richtung Offenheit zu wagen. Andererseits braucht es den Glauben der Politik an offene Daten als Rohmaterial der Zukunft, um die nötigen Ressourcen bereitzustellen. Ohne diese beiden Faktoren, ist vermutlich der erste Weg, trotz der Risiken, der sicherere.

Der Autor

Jonas Oesch ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für interaktive Technologien FHNW. Der Media Engineer hat sich im Rahmen seiner Master-Thesis in Computer Science mit Open Governement Data auseinandergesetzt. Für seine Arbeit würde er mit dem Open Data Student Award 2018 ausgezeichnet. Der vorliegende Text ist eine gekürzte Fassung seines Blogposts auf jonasoesch.ch

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