Der Elektro- und Informationstechnik-Student Oliver Wigger hat einen Rollstuhl entwickelt, der selbständig einem anderen Gefährt folgt. So kann ein Mensch mit Gehbehinderung und schwindender Sehkraft trotzdem noch mobil sein.
Infolge der Erkrankung an Kinderlähmung ist Guido Haller gehbehindert. Dazu kommt «Retinitis pigmentosa», eine Erbkrankheit, die einen allmählichen Verlust der Sehfähigkeit bis zur kompletten Erblindung zu Folge haben kann. Eine Kombination, welche die Mobilität des Ehepaars Haller erheblich einschränken wird – denn auch Frau Haller ist an den Rollstuhl gebunden.
Doch Guido Haller ist auch ein ETH-ausgebildeter Ingenieur, der ständig nach Lösungen sucht. So auch während einem Nachtessen mit Freunden, als ihnen die Idee zu einem selbstfahrenden Rollstuhl kam. Sollte er mal blind sein, müsste sein Rollstuhl automatisch demjenigen seiner Frau folgen können. Das Ehepaar wäre damit trotz Geh- und Sehbehinderung weiterhin mobil. Schliesslich gibt es auch selbstfahrende Autos, die sich intelligent im Strassenverkehr bewegen können. Warum sollte das nicht auch ein Rollstuhl tun?
Guido Haller wandte sich an die Hochschule für Technik FHNW und schrieb die Idee als Studierendenprojekt aus. Hier arbeiten die kommenden Ingenieurinnen und Ingenieure jedes Semester an einem konkreten Auftragsprojekt. Es war der Elektro- und Informationstechnik-Student Oliver Wigger, der sich an die Idee von Guido Haller wagte.
Oliver Wiggers «follow-me»-Funktion für den Rollstuhl funktioniert mit Infrarot und Ultraschall: Der Rollstuhl von Herr Haller sendet ein Infrarotsignal nach vorne zu einem Gerät am Rücken des Rollstuhls von Frau Haller. Dieses antwortet mit einem Ultraschallsignal zurück. An beiden Seiten des Rollstuhls von Herr Haller empfangen zwei Geräte – ähnlich wie zwei Ohren – das Ultraschallsignal. Je nachdem in welchem Zeitabstand das Signal von den Geräten empfangen wird, kann der Winkel zum vorausfahrende Gefährt berechnet werden. Wenn also das linke «Ohr» das Signal zuerst empfängt, muss der vorausfahrende Rollstuhl von Frau Haller links sein.
Das Prinzip ist relativ einfach, die Umsetzung nicht: «Die grösste Herausforderung war, dass der hintere Rollstuhl nicht die Kurve schneidet», erklärt Oliver Wigger, «er muss exakt dem Weg des führenden Rollstuhls folgen». Ansonsten könnte Herr Haller in ein Hindernis hineinfahren, dem Frau Haller ausgewichen ist. Diese Schwierigkeit hat Oliver Wigger in den Griff bekommen. Am Testtag ist Guido Haller begeistert von der Arbeit des Studenten: «Ich habe mich vom ersten Moment an sehr sicher gefühlt», sagt der Ingenieur, «ich würde mich jederzeit auf eine Tour mit dem Fahrzeug wagen».
Grosses Potential
Bei aller Begeisterung mahnt Frau Haller zu Vorsicht: «Für mich würde ein solches System viel Verantwortung bedeuten. Ich muss das noch mehr testen». Tatsächlich zeigen die ersten Tests, wo noch Verbesserungen nötig sind. Für einen regelmässigen Einsatz müsste beispielsweise ein Kollisionssystem eingebaut sein. Guido Haller sieht aber als Optimist vor allem das Potential: «Ich denke, dass einige Leute in einer ähnlichen Situation wie ich, froh über diese Entwicklung wären». Dabei könnte der Rollstuhl auch einem Fussgänger folgen. Darüber hinaus habe die Technologie auch in der Industrie Potential, wenn beispielsweise in einem Logistikzentrum ein Trolley einem anderen automatisch folgen könnte. Mit industriellen Anwendungen wird Oliver Wigger in Zukunft wohl auch eher arbeiten, als mit Rollstühlen: Er wird nach dem Bachelor sein Studium an der ETH fortsetzen und den Master in Regelungstechnik machen. Trotzdem: Als Ingenieur wird er weiter an Lösungen arbeiten. Lösungen, die das Leben von Menschen einfacher machen. Wie jenes von Guido Haller: «Durch den selbstfahrenden Rollstuhl können wir auch in Zukunft Ausflüge machen und Freunde treffen».
Noch kein Kommentar, hinterlassen Sie Ihre Meinung!